Zarathustra, Ahura Masda: Der Kampf zwischen Gut und Böse

Zarathustra, Ahura Masda: Der Kampf zwischen Gut und Böse
Zarathustra, Ahura Masda: Der Kampf zwischen Gut und Böse
 
Die Gathas - die Gesänge, Verspredigten des Zarathustra -, die man im ersten Teil des Avesta erhalten glaubt, heben sich sprachlich durch ihre Reinheit und Gebundenheit von den übrigen Texten ab. Sie wurden daher schon früh als der ältere Teil des Avesta erkannt und unterscheiden sich auch inhaltlich vom Rest. Sie sind deutlich der Verehrung des einen Gottes Ahura Masda, des »Herrn Weisheit«, gewidmet, der den altiranischen Göttern entgegengestellt wird.
 
Hier erfahren wir auch ein wenig über das Leben des Zarathustra; freilich erhalten wir nur recht spärlich Kunde. Seine Person wurde daher später unterschiedlich bewertet. Den einen galt er als ein Politiker, andere nahmen an, er habe als Medizinmann in einer schamanistischen Religionsgemeinschaft gewirkt; hingewiesen wird auf sein prophetisches Wirken, ähnlich dem der Propheten Israels. Zarathustra hat in einer Landschaft gelebt, die als »arisches Land« bezeichnet wird; vieles spricht dafür, dass sie im Osten des Iran, wohl in Baktrien oder Charism, lag, einer Gegend, die von Bergen mit Weide- und Viehwirtschaft geprägt war. Er gehörte der adligen Familie Spitama an, deren Mitglieder Pferdezüchter waren, und wurde ein Zaotar - ein Priester und Sänger. Der Adlige Frashoshtra gab ihm seine Tochter zur Frau, und Zarathustra hatte eigene Kinder; er war wohl nicht sehr vermögend.
 
Ein Hymnus (Yasna 46) bringt die Einsamkeit und Verlassenheit des Propheten zum Ausdruck in einer Welt, die ihm viele Hindernisse entgegensetzt. Zarathustra ringt um die Gabe der Rede, und es gelingt ihm, seine religiöse Botschaft mit leidenschaftlicher Kraft und tiefer Überzeugung zu verkünden und sein Gotteserlebnis, in dem er Ahura Masda als weisen und gütigen Schöpfer des Himmels und der Erde und als Gesetzgeber des ganzen Kosmos erkennt, in Worte zu fassen. Wegen seines Kampfes gegen den herrschenden Vielgottglauben muss er aus seinem eigenen Stamm fliehen; er begibt sich zu Vishtaspa, dem Fürsten des Fryanastammes, bekehrt ihn zu seinem Glauben und gewinnt ihn zum Freund.
 
Weiterhin soll er in einem Kreis von Jüngern und Anhängern gelehrt haben. Doch hatte er auch Gegner, denn er trat eindringlich für den Schutz des Rindes ein, das er von Adligen und Priestern misshandelt und geschunden fand. Damit wandte er sich vehement gegen bestimmte kultische Opfer zu Ehren altiranischer Götter, nächtliche Gelage, bei denen Stieropfer dargebracht und Haoma, ein Rauschtrank, genossen wurde. Keine gesicherten Hinweise, sondern sehr unterschiedliche Angaben besitzen wir schließlich über die Lebenszeit Zarathustras.
 
Ahura Masda wurde von König Dareios I. in seiner Bisutun-Inschrift und in anderen Inschriften hervorgehoben. Dort heißt es, Ahura Masda habe ihm die Herrschaft verschafft, habe ihn zum Herrscher eines Weltreichs werden und seine Feinde verderben lassen. Stützte man sich allein auf diese Inschrift, wäre das Bild einfach: Spätestens unter Dareios hätte Ahura Masda der einzige Gott sein müssen, den man in Iran verehrte, so wie Zarathustra gepredigt hatte. Damit wäre auch eine Datierung Zarathustras nahe der Zeit des Dareios wahrscheinlich, wie sie Ernst Herzfeld in seinem begeisternden (aber wohl sachlich nicht richtigen) Buch »Zoroaster and his world« vorgeschlagen hat. Ihm zufolge war Zarathustra ausschlaggebend für den Aufstieg der Achaimeniden. Er hatte einen Gott erfunden, die Achaimeniden ihren von diesem Gott bestimmten König.
 
Tontafelfunde aus der Zeit des Dareios, die bei Ausgrabungen in Persepolis zutage kamen, zeigen jedoch, dass alles so einfach nicht ist. Auf diesen Tafeln finden sich Opferlisten der achaimenidischen Verwaltung verzeichnet, das heißt von Dareios gebilligte Opfergaben. Man opferte »allen Göttern«, dem Zeitgott Zurvan, Tageszeitengöttern, Berg- und Gewässergöttern, Schicksals- und Glücksgöttern. Auf Dareios' Anweisung wurden auch nicht-iranischen Gottheiten (elamischen und babylonischen) Opfer dargebracht. Damit scheint klar zu sein, dass wir nach Zarathustra in der unmittelbaren zeitlichen Nähe des Dareios nicht suchen sollten.
 
Da wir in der Achaimenidenzeit also auf eine Religion oder, genauer, Religionen der Iraner treffen, die bereits die Vorstellungen späterer Zeiten widerspiegeln, wie sie uns in der mittelpersischen Literatur der frühen islamischen Zeit erhalten sind, muss der Reformer Zarathustra, von dem in keiner Inschrift des Dareios Erwähnung getan wird, eine geraume Zeit vor diesem gewirkt haben - wann, das ist äußerst umstritten. Ein lydischer Geschichtsschreiber, Xanthos von Lydien, der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebte, nahm an, dass Zarathustra in der Zeit 6000 Jahre vor dem Zug des Xerxes (480 v. Chr.) nach Griechenland tätig war; andere datierten ihn 6000 Jahre vor den Tod des großen Philosophen Platon (347 v. Chr.). Die persische Überlieferung legt sein Wirken 258 Jahre vor Alexander den Großen, das wäre zwischen 628 und 551 v. Chr. Unsere Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts setzte lange etwa 590 v. Chr. oder etwas früher als Lebenszeit des Zarathustra an. Das ist aber zu nahe an König Dareios und nur kurze Zeit vor dem Regierungsantritt von Kyros II.
 
Herodot wusste von Zarathustra nichts, zumindest schrieb er nicht von ihm. Zarathustra galt wohl im 5. Jahrhundert v. Chr. bereits als Weiser längst vergangener Zeiten, und seine Lehren übten keinen maßgeblichen Einfluss mehr auf die Perser aus. Er kann also nur in der unseres Wissens bewegtesten Periode der Iraner gewirkt haben: in der Zeit, als die nomadische Kultur der Iraner zusammenbrach und sich sesshaften Kulturen am Rand der damaligen Welt sowie den alten Hochkulturen stellen musste, also etwa um 1000 v. Chr.
 
Die religiösen Lehrinhalte der Gathas kreisen um einige wenige Haupthemen. Zarathustra empfängt die Offenbarung der neuen Religion direkt von Ahura Masda. Eine Parallele dazu finden wir bei den Israeliten, bei denen der Glaube an den einen Gott Jahwe entstand. Wie es zu diesem Gedanken kam, ist eine offene Frage. Gab es damals einen »Zeitgeist«, der zu diesen Gedanken führte, oder müssen wir von unabhängigen Entwicklungen ausgehen? Zarathustra äußert sich unmissverständlich, wenn er im 9. Gatha sagt:
 
»Dies frag ich dich, recht tut es mir kund Herr! Wer ist der Erzeuger, der Urvater des göttlichen Rechtes? Wer setzte die Bahn fest der Sonne und der Sterne? Wer ist's, durch den der Mond bald zunimmt und bald schwindet? Wer hält die Erde unten, wie auch das Himmelsgewölbe, dass sie nicht stürzen? Wer die Gewässer und die Pflanzen? Wer schirrt dem Wind und den Wolken das Rennzweigespann vor? Wer ist, Allweiser, der Schöpfer des guten Sinnes? Welcher Meister schuf die Lichter und die Finsternisse? Welcher Meister schuf Schlaf und Wachen? Wer ist's, durch den Morgen, Mittag und Abend sind, den Verantwortungsbewussten an seine Pflicht zu mahnen?«
 
Hierin zeigt sich die Vorstellung von einem Schöpfergott in gleicher Konsequenz wie bei den Israeliten. Ahura Masda wird als allmächtiger und allweiser Schöpfer und Bewahrer gesehen. Jedoch straft er nicht wie Jahwe. Er ist der »Herr Weisheit«, an den Zarathustra mit existentieller Eindringlichkeit in poetischer Sprache Fragen richtet.
 
Zarathustra gesellte dem Ahura Masda sechs göttliche Wesen, die »klugen oder göttlichen Unsterblichen« - sie heißen Amescha Spentas - bei: gutes Denken (Vohu Manah), Wahrheit (Armaiti), Herrschaft (Xshathra), Ergebenheit, Heilsein (Hauratat), Unsterblichkeit (Ameretat). Handelt es sich hier um einen Kompromiss mit der reichen Götterwelt der Iraner? Sowenig unser Denken diese Glaubensvorstellung von einem Gott mit seinen Nebengöttern oder Aspekten erfassen kann, so fern steht uns auch der anscheinend durch Zarathustra begründete Dualismus und seine von den Iranern im späteren zoroastrischen Schrifttum erdachte Konsequenz: der Kampf zwischen Gut und Böse. So heißt es im dritten Gatha: »Die beiden Geister zu Anfang, die Zwillinge, durch ein Traumgesicht sich offenbarend, sie sind im Sinnen, Reden, Handeln das Bessere und das Böse. Zwischen diesen beiden schieden recht für sich die Klugen, nicht die Törichten. Als aber diese Geister aufeinander trafen, da stifteten sie erstmals Leben und Tod, und dass am Ende bösestes Dasein harrt der Lügenknechte - des Rechtgläubigen aber der Beste Sinn.«
 
Vieles in diesen Versen, wie immer man sie übersetzen mag, ist dunkel und nicht entschlüsselbar; und am schwierigsten sind die »Zwillinge« zu verstehen. Gut und Böse gab es hiernach bereits, bevor die Weltgeschichte begann, erst durch ihren Kampf stifteten sie das Diesseits: Leben und Tod und damit Geschichte, in die der Mensch gestellt ist und in der er gefordert ist, zwischen Gut und Böse zu wählen. Aber welche Rolle spielt in diesem Kampf Ahura Masda? Zarathustra nennt ihn den »Ersten und Letzten«; er ist Anfang und Ende, steht somit über den beiden Geistern und ist ihr Erzeuger. Gleichwohl hindert er den zerstörerischen Geist nicht daran, das Böse zu wählen, Zarathustra verfolgte diese Überlegungen offenbar nicht. Er predigte zu lebenden Menschen, sah ihr Leben zwischen Gut und Böse und wollte sie wachrütteln, dies zu erkennen und sich für das Gute zu entscheiden. So verkündet er im vierten Gatha: »Wer zum Rechtgläubigen sich gesellt, nennt künftig jubelndes Glück sein Eigen. Langes Schmachten in Finsternis, ekle Speise, Weherufe - In solches Dasein, ihr Lügenknechte, wird aufgrund eurer Taten euch die eigene Wesenheit führen.«
 
Hinter diesen Worten scheint eine tief menschliche Denkweise zu stehen. Der Mensch ist in einen Schöpfungsprozess eingewoben. Dem folgen der Tod und das Leben nach dem Tod. Das bedeutet »jubelndes Glück« im Paradies oder »langes Schmachten in Finsternis« im »Haus des Bösen«. Es geht also um die moralische Haltung des Menschen mit all ihren Konsequenzen. Vom Diesseits ins Jenseits gelangt der Verstorbene über eine Brücke, an der eine Scheidung zwischen Gerechten und den Knechten der Lüge erfolgt. Spätere Schriften machen sie für den sündigen Menschen dünn wie die Schneide eines Messers oder Schwertes, für den Rechtschaffenen dagegen breit. Zarathustra will mit den Rechtschaffenen diese Brücke überschreiten. Er hofft auf eine Umgestaltung des Lebens. Mehrmals bezeichnet Zarathustra sich selbst als einen Erlöser. Als zentrale Themen der Gathas schälen sich so heraus: Dualismus von Gut und Böse, eine Entwicklung von der Urzeit hin zur Endzeit, in der die Guten über das Böse siegen werden. Dies wird verschlüsselt angekündigt (13. Gatha): »Tu mir kund, was nur Du weißt, Herr! Überwindet, ehe denn das Strafgericht kommt, das Du im Sinne hegst, der Rechtgläubige den Lügenknecht? Ward jenes (= das Strafgericht) doch erkannt als des Daseins Verklärung.« Und an einer anderen Stelle (3. Gatha) lesen wir die optimistische Verkündung: »Einsturz der Sphäre der Lüge.. . indes sich die geschwindesten Renner anschirren - hin zum Paradies des guten Sinnes.«
 
Prof. Dr. Heinz Gaube

Universal-Lexikon. 2012.

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